Der Gender-Debatte liegt ein fundamentales Missverständnis zugrunde, das eine differenzierte Debatte von Anfang an unmöglich macht: Es gäbe nur eine Kategorie von Geschlecht.
Fatales Unwissen
Als Beispiel: Das „Weibliche“ in „die Sonne“ sei die selbe Art von Weiblichkeit wie die Weiblichkeit einer Frau. Das ist ein fataler Trugschluss, der immer wieder für Unverständnis sorgt. Der folgende Screen zeigt eine Twitter-Unterhaltung vom Januar 2018. Die Person geht davon aus, dass es in der Gender-Debatte um „so Sachen wie ‚die Sonne‘ = feminin“ gehe, also dass Feminist*innen die Artikel von Substantiven verweiblichen wollten:
Wenn man so etwas glaubt, führt das logischerweise zu Verständnislosigkeit für die gesamte Gender-Debatte. Eigentlich müsste das aber gar nicht sein, weil niemand jemals diese Forderung aufgestellt hat. Niemand möchte die männlichen Artikel von Substantiven in weibliche Artikel ändern. Und wenn doch, dann hat er oder sie selbst keine Ahnung.
Grundvoraussetzung für jede öffentliche Gender-Debatte
Bevor ich also Studien, beispielsweise zum generischen Maskulinum, vorstelle, muss erst einmal geklärt sein, welche Ebenen von Geschlecht es überhaupt gibt. Diese Differenzierung ist für mich Grundvoraussetzung für jede öffentliche Gender-Debatte. Wenn diese Kategorisierung nicht verstanden werden kann oder will, kann und will ich auch keine Diskussion führen. Sie würde unweigerlich ins Nichts führen.
Das Interview, auf das ich mich in der Twitter-Unterhaltung beziehe, findet ihr hier. Es ist quasi der Rundumschlag für die Thematik. Teile dieses Interviews werde ich in meinem Blog immer wieder mal genauer erklären.
Die vier Geschlechterkategorien
In meinen nächsten Blogartikeln wird es also um die 4 Ebenen von Geschlecht (nach Bußmann und Hellinger 2003) gehen:
- Das grammatische Geschlecht (Genus)
- Das semantische Geschlecht
- Das soziale Geschlecht (Gender)
- Das biologische Geschlecht (Sexus)
Die ersten beiden Ebenen beziehen sich auf unsere Sprache, die anderen beiden haben nichts mit unserer Sprache zu tun, sind also außersprachlich zu verorten. Den Anfang wird das grammatische Geschlecht im nächsten Blogartikel machen.
Quelle: Bußmann, Hadumod / Hellinger, Marlis (2003): „Engendering female visibility in German.“ In: Gender across languages. The linguistic representation of women and men. Vol. 3. Hg. Marlis Hellinger / Hadumod Bußmann. Amsterdam [u. a.]: Benjamins (IMPACT: Studies in Language and Society 11), 141-174.