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Der erste Schlüsselmoment: Das Talkshow-Desaster

Eine Talkshow auf Tiefstniveau.

In den ersten beiden Teilen zu meiner Motivation ging es um meinen akademischen Hintergrund und um den schlechten Ruf der Genderforschung in der Öffentlichkeit. Im dritten und letzten Teil zu meiner Motivation soll es um drei Schlüsselmomente gehen, die mich in meiner Entscheidung bestärkten, diesen Blog zu eröffnen. Einen dieser Schlüsselmomente habe ich der Talkshow “Hart aber fair” zu verdanken, die sich vor zwei Jahren daran versuchte, eine Debatte über geschlechtergerechte Sprache anzustoßen – und kläglich scheiterte.

Framing schon im Talkshow-Titel

Das Thema der Talkshow lautete “Nieder mit dem Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?”. Schon durch den Titel war die Sendung zum Scheitern verurteilt. Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass der Titel einer Talkshow eine provokante Frage ist. Doch mit dieser Formulierung hat die Redaktion gleich mehrere Fehler begangen. Einerseits hat man gleich den Jargon derjenigen übernommen, die die Genderforschung pauschal als “Ideologiewahn” diskreditieren. Andererseits sollte das gesamte Thema mit dem völlig marginalen Beispiel des Ampelmännchens (Forderung: Es soll auch Ampelfrauen geben) ins Lächerliche gezogen werden. Solche Forderungen gibt es zwar, spielen für FeministInnen aber nur eine untergeordnete Rolle.

So konnte es ja gar keine vernünftige Diskussion werden. Dass der Titel der Talkshow ein Fehler war, haben Kritiker völlig zurecht moniert. Frank Plasberg hat im Nachhinein auch richtig erkannt: “Noch nie ist eine ‘Hart aber fair’-Ausgabe so verhauen worden, wie unsere Sendung über Gleichstellung.”

Auch die Anmoderation vergeigt

Plasberg spielt zu Beginn der Sendung mit der Formulierung “der Alltagswahnsinn, den wir uns hier in Deutschland leisten” auf die Genderforschung an, um sie im zweiten Satz direkt anzusprechen. “In diesem Land gibt es mittlerweile 190 Professorinnen und Professoren, die sich mit Geschlechterforschung beschäftigen.” Davon seien 180 Frauen und 10 Männer. Dies bleibe nicht ohne Folgen. (Was meint er damit? Klingt so, als könne man Frauen nicht mit akademischen Positionen betrauen, weil da ja nur Blödsinn bei rauskommen kann.) Als “Beweis” führt er dann ein “lustiges” Beispiel an. Für einen Nationalpark solle man nicht mehr mit einem röhrenden Hirsch werben, weil das für “männlich dominierte Jägersprache” stünde. “Mehr friedliche Hirschkühe sind das ministerielle Ziel.” Der Tonus stand damit schon zu Beginn der Sendung fest: Genderforschung ist Schwachsinn.

Ironischerweise versucht Plasberg seine Ansprache noch währenddessen zu rechtfertigen. “Sie haben gemerkt: Es war eine sehr männliche Einführung in das Thema, was vielleicht daran liegt, dass ich ein Mann bin.” Hier liegt gleich der nächste Irrglaube: Eine solche voreingenommene Einführung hat nichts mit dem Mannsein zu tun, sondern mit dem, was es ist: eine Diskreditierung. Wer auch immer da in der Redaktion zusammensaß, sie waren sich einig, dass das Thema genau so lächerlich gemacht werden soll und nicht anders. Frauen können diese Meinung genauso vertreten wie Männer.

Was hatte Sophia Thomalla beizutragen?

Für mich war die Sendung Folter und Segen zugleich. Zum einen tat es mir in der Seele weh, mit welcher Oberflächlichkeit darüber gefachsimpelt wurde, ob wir eine Gender-Debatte überhaupt brauchen. Um etwas anderes ging es gar nicht. Die Schauspielerin Sophia Thomalla war, aus welchen Gründen auch immer, Teil der Sendung. Beizutragen hatte sie jedenfalls nichts Wertvolles. Ihre Argumentation drehte sich darum, dass sie als Frau gerne Komplimente von Männern annimmt: “Wer als Frau ständig für Gleichstellung und gegen Sexismus wettert, hat offenbar noch nie ein Kompliment bekommen. Frauen sind stark genug, gut auszusehen und dazu auch noch ihre Frau zu stehen.” Übersetzt heißt das: Feministinnen fehlt nur ein bisschen Zuneigung. Sind also selbst Schuld. Das ist leider nicht nur diffamierend, sondern auch falsch und nicht das Thema. So kann man natürlich auch alles pauschal leugnen.

Für Frau Kelle ist alles nur Biologie

Einen ähnlichen Ton stimmte die Publizistin Birgit Kelle an: “Diese Quoten- und Gleichstellungsideologie sind doch einfach nur gaga. Männer und Frauen sind nun mal von Geburt an unterschiedlich und das darf gern auch so bleiben.” Sie haut biologische und soziale Unterschiede einfach in einen Topf. Ein fataler Fehler, den Gender-Kritiker gerne machen.

Kubicki hat gerade noch gefehlt

Und zu allem Überfluss sitzt dann noch Wolfgang Kubicki in der Runde, der – als FDP-Politiker – solche Themen wie die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern und die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen leugnet. “Wer als Frau wirklich gut ist, braucht keine Genderpolitik und setzt sich stattdessen mit echter Leistung durch”. Prima! Liebe Frauen, strengt euch doch einfach ein bisschen mehr an, dann erledigt sich das Problem von selbst. Auch hier versteckt sich wieder die alte Strategie. Frauen bekommen durchschnittlich weniger Lohn, weil sie Frauen sind? Das muss daran liegen, dass sie als Frauen weniger leisten, weil sie Frauen sind. Die Frauen sind schuld. Ein klassischer Zirkelschluss. Damit erspart man sich die viel schwierigere Diskussion, warum dieses Problem tatsächlich institutioneller Natur ist.

Die Unterstützer marginalisiert

Die Gegenposition vertraten nur die Feministin Anne Wizorek und der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, die, aufgrund des flachen Niveaus der Diskussion, kaum eine Chance hatten, sich zu erklären. Wizorek stellte in der Sendung auch genau die Frage, die mir selbst am meisten auf den Nägeln brannte. “Sophia Thomallas Anwesenheit in allen Ehren, aber warum haben wir hier keine Person aus den Gender Studies, die wirklich zu diesen Themen lehrt?” Von sprachlicher Diskriminierung hat Thomalla, so sagt sie selbst, nämlich noch nie etwas gehört. Diese Frage ist für mich von zentraler Wichtigkeit, denn man redet über die Genderforschung. Aber gefragt wird sie nicht. Dabei könnte die Wissenschaft so einige Wogen glätten. Denn wie für jede akademische Disziplin gelten auch für die Genderforschung wissenschaftliche Standards, die erfüllt sein müssen, damit man von validen Ergebnissen sprechen kann. Und das Gute daran ist: Dann kann man (eigentlich) auch nicht mehr sagen, dass das alles Blödsinn ist.

Nach der Talkshow folgten die nächsten Skandale

Die völlig außer Kontrolle geratene Debatte wurde so heftig kritisiert, dass der Sender sich gleich den nächsten Skandal leistete und das Video aus der Mediathek entfernte. Nur, um sie anschließend doch wieder online zu stellen. Und weil dann alles zu spät war, entschied man sich, die Sendung mit denselben Gästen zu wiederholen. Hinzu kamen noch der WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, der erklären musste, wie es soweit kommen konnte. Und die stellvertretende Vorsitzende des Landesfrauenrats Niedersachsen Sybille Mattfeldt-Kloth, die Programmbeschwerde einreichte und das zentrale Problem auf den Punkt brachte. “Mit albernen Diskussionen über Ampelmännchen wurde das wichtige Thema ‘Gender’ bewusst lächerlich gemacht.”

Eine Bilderbuch-Talkshow für unsere Gender-Debatte

Und warum war die Sendung für mich nun ein Segen? Wer sie noch nicht gesehen hat, dem kann ich das nur empfehlen, auch wenn sie schon zwei Jahre alt ist. Sie öffnete mir die Augen sehr weit, denn sie zeigte auf die dramatischste Art und Weise, wie es um die Gender-Debatte in Deutschland bestellt ist. Nicht gut.

Prinzipiell kann ich diese heftigen Abwehrreaktionen nachvollziehen. Unser Geschlecht ist immer auch Teil unserer Identität und sobald es irgendeinen Versuch gibt, diesen festen Anker unserer Selbst “in Frage zu stellen”, geht alles drunter und drüber. Ich kann auch verstehen, dass es für manche Leute “früher” einfacher war, als man noch in den Kategorien Frau und Mann dachte. Es gab eine klare Trennung. Es gab Frauen und es gab Männer. Und beide hatten klar definierte Rollen zu erfüllen. “Schubladendenken” mögen Menschen immer. Aber auch damals schon gab es andere Genderidentitäten, die dadurch an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wurden. Und auch damals hatte die Frau weniger zu sagen als der Mann. Natürlich noch viel, viel weniger, als das heute der Fall ist.

Die falsche Lesart

Das Problem beim Empfänger ist eine völlig falsche Lesart der Gender-Debatte. Sie hat nicht das Ziel, irgendjemanden zu berauben oder etwas streitig zu machen, sondern aufzuklären und Bestrebungen in Richtung Gleichberechtigung durchzusetzen. Dabei darf jede Frau und jeder Mann Frau bzw. Mann bleiben, der oder die sich auch als Frau oder Mann sieht. Es wird einzig erwartet, dass man mehr Offenheit, mehr Toleranz und irgendwann auch mal Akzeptanz zeigt. Sei es hinsichtlich der Gleichberechtigung von Frau und Mann oder anderer Geschlechteridentitäten jenseits von Frau und Mann.

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