Im letzten Blogbeitrag habe ich den ersten Teil des Ursprungs für mein Interesse an dem Thema erläutert: die Wissenschaft. Daraus wird ersichtlich: Ich werde wahrscheinlich öfter mal zum Thema „Sprache und Gender“ zurückkommen und ich hoffe, dass ich auch Nicht-Linguisten dafür begeistern kann. Natürlich soll es aber nicht nur darum gehen.
Diesen Monat habe ich ein Interview mit Prof. Dr. Damaris Nübling auf Campus Mainz über geschlechtergerechte Sprache veröffentlicht. Zum Inhalt werde ich natürlich noch zur Genüge kommen, wichtig ist momentan nur die erste Frage des Interviews: Warum wird die Wissenschaft bei öffentlichen Debatten so selten zu Rate gezogen? Im konkreten Fall spreche ich von der Sprachwissenschaft und im nächsten Blogbeitrag werde ich auf ein Paradebeispiel genau eingehen.
Die Wissenschaft wird gerne ignoriert
Ein sehr grundlegendes Problem ergibt sich schon daraus, dass der Auseinandersetzung mit unserer Sprache im öffentlichen Diskurs gar keine Bedeutung zukommt. Eine sprachliche Aufklärung gibt es einfach nicht.
Als gutes Gegenbeispiel kann ich mein persönliches Vorbild Schweden nennen. Dort gibt es die Språktidningen („Sprachzeitung“). Das ist eine monatlich erscheinende Zeitschrift nur über sprachliche Themen mit einer gar nicht mal so geringen Druckauflage von 20.000 Exemplaren und 66.000 LeserInnen. Bei nur 8 Millionen EinwohnerInnen ist das ganz ordentlich. Andere Zeitschriften haben zumindest einen Sprachteil, in dem ein Kommentar, eine Meldung oder eine Glosse zum Thema Sprache erscheint. Im deutschen Raum ist mir sowas nicht bekannt, dabei hätten wir das bitternötig. Also falls ein Chefredakteur diese Zeilen liest: Baut es ein! 🙂
Warum haben wir das bitternötig? Die Sprachwissenschaft ist nicht die einzige Wissenschaft, die in der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen wird. Ein Hauptproblem ist dabei sicher, dass es schwierig ist, komplexe Zusammenhänge möglichst einfach wiederzugeben, ohne dabei zu verfälschen.
Gender-Debatte: Völlig aus der Bahn geworfen
Diese Kunst der Simplifizierung haben wir aber auch deshalb so bitternötig, weil die Gender-Debatte wohl am eindrucksvollsten zeigt, wie furchtbar eine öffentliche Diskussion ohne den Anker der Wissenschaft in die Hose gehen kann. Auch wenn die Medien den Themen Sexismus und sexuelle Belästigung, man denke an Harvey Weinstein und seine Hollywood-Kollegen, immer mehr Aufmerksamkeit schenken, so sind öffentliche Diskurse rund um die so vielschichtige „Gender-Debatte“ in den allermeisten Fällen unsachlich und gehen völlig am Wesentlichen vorbei.
Jeder noch so kleine Einwand gegen unsere binäre Idee von Frau und Mann wird als „Genderwahn“ oder „Genderideologie“ pauschal diskreditiert. Eine für mich sehr spannende Frage dabei ist, woher die Idee kommt, dass „Gender“ eine Ideologie sei. Ich habe bis heute keine konkrete Antwort darauf. Ich weiß nur, dass der Gedanke mit konservativen und rechten Einstellungen eng verwoben ist und im „postfaktischen“ oder „Fake-News-Zeitalter“ an Popularität gewann. Zu den bekannten Abwehrreaktionen gegen eine Aufhebung unserer Vorstellung von Frau und Mann komme ich zu einem späteren Zeitpunkt noch.
Dies ist jedenfalls der zweite Teil, der den Ursprung für mein Interesse erklärt. Auf der einen Seite habe ich Einblicke in die Wissenschaft, die für mich absolut einleuchtend sind und auf der anderen Seite sehe ich die öffentliche Ahnungslosigkeit und das allgemeine Unverständnis. Ich möchte deshalb diesem Thema eine Bühne geben – ohne Panik, Verfälschungen und Verallgemeinerungen, sondern mit Sachverstand.