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#MeToo: Herr Fleischhauer fühlt sich nicht verantwortlich

Das Rotkäppchen-Phänomen: Ein Opfer? Klar. Aber irgendwie ja auch selbst schuld. Naiv wie sie ist. Oder?

Die Welt könnte für Männer wie Herrn Fleischhauer so einfach sein. 90% der Zeit benehmen wir uns normal und bei den anderen 10%, in der wir Praktikantinnen auf unser Hotelzimmer kommandieren und ihnen Pornos zeigen, können wir im Nachhinein sagen: „Ja, bitte, was biste denn auch so naiv? Da kann ich ja nun wirklich nichts dafür.“

In solch einer Welt lebt Jan Fleischhauer – zumindest wenn man den Subtext seiner gestern veröffentlichten Kolumne zum aktuellen Fall von sexueller Belästigung beim WDR liest.

„Was glaubt eine Praktikantin, wenn ein 30 Jahre älterer Mann sie zu nachtschlafender Zeit per SMS dazu einlädt, sie in seinem Hotelzimmer aufzusuchen?“, überlegt Fleischhauer. „Nimmt sie im Ernst an, dass man sich über die Kameraeinstellungen am nächsten Drehtag austauschen wird?“

Fleischhauer: Typische Täter-Opfer-Umkehr

An dieser Stelle darf eine Gegenfrage erlaubt sein: Warum muss sie Dinge annehmen, wenn der Vorgesetzte ihr – unabhängig von den Rahmenbedingungen – sagt, er wolle noch über den nächsten Dreh reden?

Fleischhauer ist sich der Brisanz seiner These offenbar bewusst, also rudert er gleich wieder zurück: Er wolle ja nicht den Mann verteidigen. Und tut es aber doch. Denn die angebliche Naivität versteht er einfach nicht:

Aber sollte man nicht erwarten können, dass eine 25-Jährige in der Lage ist, nächtliche SMS zu ignorieren? Wie man erfährt, ging sie sogar auf sein Angebot ein, bei ihm zu schlafen, als er sie fragte, ob sie bei ihm übernachten wolle. Sie schreibt: „Ich erwartete Frau und Kinder zu treffen, ich fand einen Pool, zwei Liegen, eine Flasche Wein und Oliven.“ Ja, um Gottes Willen, was denn sonst bei einem Mann, der zuvor die Vorzüge der „offenen Ehe“ gepriesen hatte?

Ob man das erwarten kann, ist eine völlige irrelevante Frage. Manche ignorieren solche zweideutigen Anspielungen, manche nicht. Das ist auch einfach eine Charakterfrage. Und die, die es nicht tun, haben ihre Gründe. Anstatt diesen Gründen nachzugehen, ist es natürlich einfacher, der Frau Naivität zu unterstellen. Sie hätte es doch wissen müssen, wenn er zuvor über die Vorzüge der „offenen Ehe“ referierte!

Eine Machtfrage

Herr Fleischhauer ignoriert in diesem Fall komplett die ungleichen Machtverhältnisse. Der WDR-Korrespondent war sich dieser Strukturen – genauso wie Harvey Weinstein – völlig bewusst und wusste sie zu nutzen. Das wird deutlich, wenn man sich mal durchliest, wie er mit den Frauen redete („Ich kriege (boah, ist das arrogant) immer, was ich will.“). Und man erkennt es an seiner Perfidie: Doppelzimmer buchen unter dem Vorwand der Kosteneinsparung – das ist schon echt armselig.

Macht haben wollen, aber keine Verantwortung – Das passt nicht zusammen

Und was Fleischhauer – wie viele andere auch – ebenfalls ausblendet: Die Idee, der Mann könnte mal Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Stattdessen wird die Verantwortung wieder an die Frau abgegeben. Sie hätte das doch wissen müssen. Und wenn sie auf die sexuelle Belästigung des Mannes eingeht, ist sie halt selbst Schuld. Das ist ein klassisches Argumentationsmuster, das man in der #Metoo-Debatte immer wieder liest. Man könnte es Women Shaming nennen.

Mehr Verantwortung für den Mann

Offenbar kommen einige nicht mit dem neuen Feminismus klar. Jan Fleischhauer stellt es deutlich gegenüber: Früher, in der Generation Alice Schwarzer und der „Emma“, hätte man sich totgelacht, „wenn ein Mann sie dazu hätte bewegen wollen, ein Bett mit ihm zu teilen, weil die Unternehmensleitung angeblich Kosten sparen müsse.“ Oder man hätte demjenigen, wie es WDR-Chefredakteurin im Interview sagt, eine Abfuhr erteilt („Hau ab, du Blödmann.“).

In der heutigen Gender-Debatte reicht das nicht mehr aus. Und das macht einigen Männern offenbar ziemlich Angst – denn die Verantwortung geht endlich in die Richtung des Mannes. Jetzt muss er Verantwortung für sein Handeln übernehmen. So einfach wie früher, wo man einfach mal die Reaktion der Frau abwarten konnte, ist es also nicht mehr. Und das ist vollkommen richtig so.

Ein bisschen Menschenverstand und etwas Anstand

Die „emanzipierte Frau, die selbstbewusst erklärt, was sie will und was nicht“, kann es übrigens trotzdem geben – auch wenn Männer wüssten, wie man sich anständig benimmt. Dazu müssen wir sie nicht bedrängen. Und uns sollte es nicht von unser Verantwortung über unser eigenes Handeln entbinden.

Wenn wir für unser Handeln verantwortlich gemacht werden und uns dafür auch verantwortlich fühlen, würde man nämlich nie im Leben auf die Idee kommen, eine junge Praktikantin auf das Hotelzimmer einzuladen und ihr anschließend Pornos zu zeigen (etwas Selbstachtung vorausgesetzt). Das macht man nur, wenn man sich rausreden kann. Und das tat der WDR-Korrespondent ja auch. Den Porno habe er nämlich nur aus Recherchegründen zeigen wollen. Klar, das ist natürlich naheliegend.

Letztlich zeigt Fleischhauers Kolumne aber auch einen gewissen Erkenntnisgewinn: „Vielen Erzählungen ist gemeinsam, dass sie die Frau als Rotkäppchen zeichnen, das dem bösen Wolf zum Opfer fällt.“ – Herzlichen Glückwunsch, Herr Fleischhauer, willkommen in der Realität so mancher Frauen!

1 thought on “#MeToo: Herr Fleischhauer fühlt sich nicht verantwortlich

  1. Zwei Frauen haben es mal ähnlich formuliert:
    Camille Paglia schrieb beispielsweise in „Sexual Personae: Art and Decadence from Nefertiti to Emily Dickinson“:

    For a decade, feminists have drilled their disciples to say, “Rape is a crime of violence but not sex.” This sugar-coated Shirley Temple {370} nonsense has exposed young women to disaster. Misled by feminism, they do not expect rape from the nice boys from good homes who sit next to them in class…. These girls say, “Well, I should be able to get drunk at a fraternity party and go upstairs to a guy’s room without anything happening.” And I say, “Oh, really? And when you drive your car to New York City, do you leave your keys on the hood?” My point is that if your car is stolen after you do something like that, yes, the police should pursue the thief and he should be punished. But at the same time, the police — and I — have the right to say to you, “You stupid idiot, what the hell were you thinking?”

    Oder McElroy:

    The fact that women are vulnerable to attack means we cannot have it all. We cannot walk at night across an unlit campus or down a back alley, without incurring real danger. These are things every woman should be able to do, but “shoulds” belong in a Utopian world. They belong in a world where you drop your wallet in a crowd and have it returned, complete with credit cards and cash. A world in which unlocked Porsches are parked in the inner city. And children can be left unattended in the park. This is not the reality that confronts and confines us

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